So viel vorneweg: Für Stolz kann man sich nichts kaufen. Stolz kostet, je nach Schwerpunkt Geld, Gesundheit oder Leben.

Früher, als ich noch eine Kneipe besaß (das war in den Neunzigern, kurz nach dem man das halten von Sauriern als Statussymbole bei uns verboten hat), da hatte ich unter anderem auch Österreicher als Stammgäste.
Jene kamen aus St. Pölten und bauten eine „Kunsteisbahn“ (artificial ice rink) gleich nebenan. Jedenfalls hatten die einige Zeit mit dem Bau zu tun. Teuer war er außerdem.
So viel weiß ich heute: Da die Spezialisten aus St. Pölten zu meinen besten Gästen gehörten, waren sie und ich die einzig wirklichen Nutznießer dieser Eisbahn. Obwohl ich diese nie betreten habe. Wieso? Die St. Pöltener verdienten an dem Projekt und ich verdiente an den St. Pöltenern.
War da noch wer? Ja, die damaligen Politiker, die den Bau zu verantworten hatten. Diese hatten natürlich ihren Prestige-Orgasmus. — Während der feierlichen Eröffnung. Heute, und nicht erst seit heute, ist das Ding dicht. (Zu teurer Unterhalt.) Und keiner hat was davon.
Lokalpolitiker wie Provinzfürsten sind stolze Leute, die zeigen wollen, was „sie“ bei sich so alles haben. Oder sich leisten „können“. Vor allem wenn sie Geld von woanders (Steuerzahler) kriegen. Politiker sind Blender, die von ihrer eigen Größe so geblendet sind, dass die Notwendigkeit, auf dem freien Markt Geld zu verdienen schlicht ausgeblendet wird. Hier im Ort (und nicht nur hier) leiden die obersten Beamten unter einer chronischen Prestigenot.
Prestige ist eine Ausgeburt des Stolzes
Szenenwechsel. Vormittags der 11. Oktober 2015 nach einer durchzechten Nacht. Ich frühstückte in gemütlicher Runde im Bikerhotel des Tequila Drive in Reuden, Sachsen-Anhalt. Während dessen lief im Radio ein Live-Interview mit dem Komiker Uwe Steimle. Die Moderatorin sagte, er sei ja beruflich viel unterwegs und fragte, ob er sich denn auch woanders wohl fühle.
Steimle’s Antwort (sächselnd): „Nein. Am schönsten ist es immer dort, wo man herkommt. In meinem Falle ist es Sachsen. Ich finde es immer wieder bemitleidenswert, wenn jemand behauptet, er fühle sich überall wohl oder er sei ‚Weltbürger‘. Wer kein Heimatgefühl hat, der tut mir leid. Die haben keine Verbundenheit.“
Ich sehe das anders. Da kam wohl der Honecker in ihm durch. (Erich, ein provinzieller Saarländer, der beruflich immer fern der Heimat leben musste.)
Willst du meine Meinung lesen?
Gut, ich war an jenem Tag im Tequila Drive. (Sachsen-Anhalt.) Da läuft halt ein Radiosender. Aber wäre ich wie früher in meinen eigenen Laden, ich hätte das Radio wohl schnell abgestellt. Zumindest, solange die Österreicher da waren. Die erzählten nämlich, dass sie in der ganzen Welt Kunsteisbahnen bauen. (Biker fahren ja auch viel umher…) Ich sagte: „Da seid ihr ja nur unterwegs.“ Darauf sagte mir Pepe, einer der Österreicher: „Ich bin da entspannt, weil ich mich überall zu hause fühle.“ Ich sehe es wie Pepe.
Szenenwechsel. Beobachtet man Deutsche im Ausland, sind diese keine „Deutschen“ mehr. Sondern stolze Sachsen, Bayern [Franken!], Thüringer, Westfalen oder Pfälzer. [Und da, wo sie herkommen (denn Herkunft ist denen wichtig), ist es immer „wunderschön“. Fast so, als ob man betonen müsste, dass es woanders nicht so wäre. Denn das eigene Kind findet man auch immer am schönsten, selbst wenn es offensichtlich hässlich ist.]
Das alles heißt, der Stolz ist da. Und der muss irgendwo hin. In diesem Fall geht er ins sub-nationale. Also in die Freistaaten und Bundesländer. In die Provinzen.
Falls ich beispielsweise in Baden-Württemberg bin und man dort meine lokale Mundart heraushört, fragt man meistens: „Du bist Berliner, nicht wahr?“ Ich: „Ja.“ Antwort: „Das höre ich gleich heraus.“ Aha. — Ich spare mir Belehrungen, dass ich gar kein Berliner, sondern Brandenburger bin. Egal. Berlin ist in der Nähe und es kennt jeder. Fertig.
Im Ausland, vor allem in Nordamerika, fragt man mich auch, wie München so ist. Dann sage ich, es ist einen Besuch wert, denn ich fahre auch ganz gern mal dort hin. Dann sage ich gleich, dass ich „aus Berlin“ komme. Aha.
Stolz ist nicht nur ein teurer Spaß, sondern vor allem eine Barriere [durch Pedanterie]. Diese Barriere verdirbt einem oft den Spaß. Oder das Geschäft. Meist sieht man diese Barriere um Spießer herum aufgebaut. Denn diese wagen nie den ersten Schritt. Den tun dann andere, woanders, nicht zwangsläufig ortsgebunden. Und Steimle’s Meinung ist Steimle’s Meinung. Fertig.
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