Es gibt Leute, die so viel Zeit haben, dass sie vor dem Kauf eines Teppichs dessen Fransen zählen, um dann mit einer komplexen mathematischen Formel zu analysieren, ob das Preis-Leistungsverhältnis überhaupt stimmt. Stimmt es nicht, geht das ganze Theater wieder von vorne los..
Das kunstvoll eingearbeitete Muster des Teppichs spielt aber keine Rolle, denn das wäre ja eine (weitere) Entscheidung. Und zwar eine, die Geschmack voraus setzt. Außerdem, wie sollte man einen Kauf, der auf persönlichen Geschmack beruht statt auf messbare Fakten, mit Vernunft begründen? Eben.
Ist der Teppich dann endlich zu hause, stellt der spießige Besitzer als erstes eine Regel auf, die besagt, dass niemand auf die exakt geradlinig ausgerichteten Fransen treten darf. Darauf achtet er dann wie ein paranoider Adler, während gerade jemand widerwillig zu Besuch ist. Den hat er extra zum Besuch gedrängt, weil dieser seinen neuen Teppich bewundern soll.
Die selbe Person bereitet zum Beispiel den Kauf eines Autos nicht nur damit vor, erst einmal jeden Händler im Umkreis von 183 Kilometern mehrfach mit entgegenkommenden Preisnachlässen und Probefahrten zu nerven. Sondern auch damit, Jahre- oder Jahrzehnte lang Autozeitschriften zu kaufen, um Test-Tabellen und technische Daten zu vergleichen.
Danach wird die komplette restliche Freizeit geopfert, um Cent-genau den möglichen Wiederverkaufwert zu ermitteln. Ich finde das absurd, weil mir diese Vorgehensweise in jeglicher Hinsicht (Zeit, Nerven, Spaß, Individualität) mehr kosten würde als es bringt.
Zusammen genommen kosten dann all die angesammelten Autozeitschriften plus der gelesenen Online-Tests womöglich mehr als der von Erbsenzählern aus eben jenen vorgeschobenen Vernunftgründen gekaufte VW mit unvollständiger Ausstattung. — Die Lebenszeit und das liebe Geld sind für immer verloren.
Wenn wir schon beim Thema sind. Des Deutschen liebstes Kind, das Auto, hat zu parieren. Und das macht es auch, das können die heutigen Fahrzeuge — auch dank dem Öko-Jihad der EU-Beamten immer besser. Dieses aus rein praktischen Gründen gekaufte Vernunft-Auto ist seinen (potentiellen) Besitzern schon darin ähnlich, dass es keine Seele hat. Das ist Helene Fischer auf Rädern. (Im Gegensatz zu den Autos kennt die Gott sei Dank keiner im Rest der Welt.)
Andererseits gibt es nichts, was dem Deutschen Spießer einen größeren Schauer über den haarigen Rücken jagt, als der sorgenvoll erwartete Schaden direkt nach der Garantiezeit. So wie bei unpraktischen Autos, die aber Spaß machen und schön anzusehen sind. Oder wie bei richtiger Musik, die der Spießer nicht hören will, da sie ungewohnt fremd klingt, zu animalisch-wild ist und er kein Englisch versteht. Für den ist alles albern, was du tust. Nicht nur deine Musik.
Und ich wette mit dir, dass jeder, der ausschließlich mit Vernunft etwas kauft, tut oder entscheidet, ein anstrengender Langweiler mit Strickjacke ist, der verachtend mit dem Kopf schüttelt oder dich belehrt, wenn er sieht, dass du Spaß hast, instinktiv handelst oder nur anderer Meinung bist wie er. So jemand gönnt dir, genau wie sich selbst, nicht den geringsten Spaß. Eben weil er keinen Spaß versteht.
Typisch für diese Sorte Mensch ist das umfangreiche Sicherstellen, dass der ganze Tag verplant ist und man bloß nichts spontan entscheiden muss. Und wie der Tag schon beginnt, so verläuft dann das ganze Leben. Mit anderen Worten, der Spießer macht sich schon vorab so viel Sorgen um Dinge, damit diese auch tatsächlich eintreten.
Warum? Er hat einfach zu viel Zeit. Somit schafft dieser sich Probleme, die er sonst nie hätte. Und er versagt sich Genuss und Freude, die er sonst hätte (haben können).
Solche Leute fallen, nebenbei gesagt, nicht gern auf. Erst recht nicht durch emotionale Handlungen, die irgendwas mit Charisma oder Persönlichkeit zu tun haben. Da für sie nur die Fakten zählen, gilt jede emotionale Entscheidung oder das Hören auf die innere Stimme als dumm, zumindest als albern.
Der Spießer kauft eine Statue so eiskalt berechnend, weil sie in die unansehnliche Vitrine in der Ecke passt und nicht weil sie ihm als Kunstwerk gefällt. Letzteres gilt für ihn als albern, ist aber Sinn der Sache.
Spießer sind nicht nur humorlose Erbsenzähler ohne Geschmack und ohne Seele, sondern auch Gefangene ihrer selbst.
Das komplette Gegenteil wären erfolgreich Kreative, weil sie sich trauen, ihre innere Sau raus zu lassen und deshalb frei und für andere viel interessanter sind. Sie trauen ihrem Bauchgefühl mindestens genauso, wie den Verstand. Manchmal sogar noch mehr. Denn der Verstand hilft nicht immer weiter. Das habe ich bei mir selber schon erlebt. (Worüber ich übrigens froh bin.)
Wer keine Zeit hat, der muss sich schnell entscheiden. Er verplempert seine Zeit nicht und lebt in vollen Zügen. Er kümmert sich nur um das wichtige und hat letztendlich mehr Geld anstelle von weniger.
Er hat aufgrund seines Handelns im Endergebnis mehr Geld als Zeit. Er denkt nach, ja. Aber er handelt mit dickeren Eiern und daher oft aus dem Bauch heraus. Er macht dies mehr mit Attitüde und Courage denn mit langwieriger Faktenhuberei. Und solche Entscheidungen aus dem Innern heraus, und seien die noch so unvernünftig, bereut man – sofern man keinen damit schadet – so gut wie nie.
Selbst manche Unternehmungen sind so verkopft, dass sie nicht mehr funktionieren, weil der Funke zum Kunden nicht mehr überspringt. Jemand, der viel Zeit hat, der wurstelt lang hin und fängt an, sich weitere unnötige Sorgen zu machen. (Auch das kenne ich, weil ich es durch habe.)
Jemand, der wenig Zeit hat, muss seine Aktivitäten komprimieren. Langfristig ist das die bessere Alternative, erfordert aber eine gewisse Ausdauer. Und wer eine gewisse Zeit überdauert hat oder eine lange Trockenperiode ausharren musste, der verschwendet garantiert keine Zeit. Und die Menge an Zeit, die wir haben ist auf das ganze Leben bezogen am wenigsten garantiert.
Keine Zeit zu haben bedeutet nicht – wie Spießer denken – pausenlos zu arbeiten. Das ist genau so ein Blödsinn. Ich habe manchmal deshalb keine Zeit für langweilige Dinge, weil ich lieber in guter Gesellschaft einen saufen gehe. Oder lese. Oder reise. (Um dort mit frisch kennengelernten Leute einen saufen zu gehen.)
Der im Grunde schon feindliche Gegensatz des Spießers zu dir ist dessen Hang, mit seinem spießigen Getue und seiner Besserwisserei am liebsten dich in sein trostloses Weltbild ebenso einzupassen, einzufügen und hinein zu zwängen, wie sich selbst. — Damit auch du durch seine Zwänge mit gefangen bist.
Spießer sind Konformisten, also Angepasste Ja-sager, die Blind geworden, durch die Dominanz ihrer Ängste nur noch auf sich bezogen sind. Sie sind es, die Kindern ihre Träume rauben und entgegen ihrer angeborenen Talente und Neigungen zu funktionierende Drohnen deformieren.
Bei Tieren würde man in solchen Fällen von nicht artgerechter Haltung oder schlicht von Quälerei sprechen. Spießer sind die schlechtesten Vorbilder und die Ursache vieler Übel. Sie sind schädlich für ihre Mitmenschen.
Das sind Leute, die mit Freiheit nichts anfangen können. Die sollte man praktischerweise gleich in den Knast stecken.
(Danke Jezza.)