„Nun mach doch mal!“

Jemand steht vor einem Problem, wo er nicht recht weiß, wie er es angehen soll. Es ist zu komplex, zu verwirrend und vielleicht viel zu beängstigend. Eventuell kam es auch noch überraschend. Da ist man manchmal wie gelähmt.

Vielleicht ist derjenige auch einfach nur durch Stress blockiert und erkennt das direkt Machbare nicht, obwohl es greifbar nahe und damit die Lösung vor seinen Augen ist. Ein einfaches Rezept dagegen ist, einfach Abstand zu nehmen und mal tief Luft zu holen.

Allerdings kann die Sache manchmal bizarr werden, wenn man vor lauter Stress (oder Arbeit oder Ablenkung) nicht gleich erkennt, dass man das Problem selbst verursacht hat.

 

Als Beispiel habe ich hier einen Fall, der sich vor vielen Jahren beim Bau eines Gewerbegebäudes tatsächlich so abgespielt hat (ich war dabei):

Auf einem unerschlossenen Grundstück mit leichtem Hang wurde der Abflusskanal für Regenwasser versehentlich auf der falschen Stelle, also bergauf angelegt. (So etwas wird in Beton gegossen.)

Das heißt, das Wasser hätte bei Regenwetter nicht abfließen können und zusätzliches Wasser wäre aus der Umgebung direkt in den Empfangsbereich samt den unteren Büros gespült worden. Mit anderen Worten, bei dieser Konstruktion muss das Regenwasser – entgegen der Schwerkraft – bergauf fließen.

Direkt am Tag der Fertigstellung stieß ein neuer Lehrling dazu. Gerade als er die Verschalungen abbauen und die Bierpullen wegräumen sollte, bemerkte er die geniale Fehlkonstruktion. Dies brachte er seinen Vorarbeiter schonend bei.

Dieser Vorarbeiter betrachtete das Werk minutenlang und rauchte erst einmal drei Zigaretten, bevor er sagte, das dies der Bauleiter so gewollt hat. Allmählich versammelten sich auch weitere Bauarbeiter staunend um diesen Kanal.

Bis der Vorarbeiter den Bauleiter rief: „Manfreeed!!“

Plötzlich öffnet sich weiter hinten die Tür vom Dixi-Klo, wo Bauleiter Manfred Wampe* herausguckt und der Vorarbeiter ihm noch zurief: „Der Abfluß stimmt nicht.“ Manfred guckt überrascht hinter sich direkt aufs Klo (Dixi-Klos haben keinen Abfluss). Der Vorarbeiter rief: „Nein, hier der Kanal! Komm mal her!“

Dann kam der selbstbewusste Bauleiter anmarschiert, wie ein bierbäuchiger Terminator im Clownskostüm, während er sich noch im gehen die Hose hochzieht. Und zwar so, dass – wie gewöhnlich – fast der komplette Arsch noch raus guckt.

Dieser Bauleiter sah den Kanal und lies sich genau erklären, warum das Wasser in der Realität nicht abfließen kann. Er verstand das Problem sofort und sah selbstverständlich auch ein, dass es mit dem Abfluss so nicht funktionieren konnte.

Ohne mit der Wimper zu zucken rief Bauleiter Manfred Wampe mit seiner grollenden Stimme, die lauter als ein V8-motor ohne Auspuff ist, vor versammelter Mannschaft den gerade eingetroffenen Bauingenieur zu:

„RUDI, KOMM MAL HER HIER! DU HAST SCHEISSE GEBAUT!“

Der Bauingenieur, der gemeint war, hat dies zwar gehört, sich aber nicht angesprochen gefühlt, weil er mit niemanden auf dem Bau per „Du“ ist.

Bauleiter Manfred Wampe rief einem seiner Kollegen daraufhin – deutlich für alle hörber – zu: „Sag mal den dürren Glatzkopf mit der Aktentasche da, der soll mal herkommen!“

Der Bauingenieur guckte verwundert, kam dann aber langsam und verwirrt angetippelt. Verwirrt auch deswegen, weil er doch mit niemanden per „Du“ ist.

Nach Begutachtung sagte der Herr Ingenieur dann mit doktorhaft leiser und feiner Stimme zum Bauleiter: „Herr Wampe, meine Planungen sind grundsätzlich korrekt, nur die Kanalführung wurde dezidiert falsch ausgeführt. Meine Unterlagen sind im Auto, die kann ich Ihnen gerne zeigen und auch noch mal erklären. Und da die Eröffnung des Gebäudes nächste Woche stattfinden soll, liegt das Ergebnis sukzessiv in Ihrer Verantwortung.“

Bauleiter Manfred Wampe erwiederte promt: „Mit die Pläne kannste dir deinen knochigen Arsch abwischen! Wir sind hier nicht im Büro. Wir arbeiten!“

Bauingenieur: „Und offenbar nicht ganz korrekt.“

Bauleiter Wampe: „Wovon hast du denn Ahnung? Du taugst doch nur zum rumstehen. Pass auf, dass ich nicht versehentlich auf dich drauf trete oder dich einmauere.“

Bauingenieur: „Warum in diesem Ton? Ist das nötig? Wie Sie sicherlich wissen, bin ich ausgebildeter Bauingenieur mit gewisser Erfahrung, und damit derjenige, der den Bau nicht nur plant, sondern auch überwacht. Ich bin schon vom Fach.“

Bauleiter Wampe: „Aus’n Schubfach biste! Wer hat denn den Mist hier entdeckt, du Nachtwächter?“

Bauingenieur: „Ich bin hier Bauingenier.“

Bauleiter Wampe: „Ja, du bist Bauingenieur. Bauingenieur bei der Post!“

Der Bauingenieur dreht sich eingeschnappt um und geht. Da sagte der Vorarbeiter zu Bauleiter Wampe ins Ohr: „Du Manfred, den darfste nicht duzen. Das’n Doktor. Aber ich glaub‘ der Planungsfritze hat recht…“ Und so erklärte der Vorarbeiter dem Bauleiter Manfred im Stillen nochmal, dass er, also Manfred, schuld sei.

Bauleiter Manfred dann: „Ach so.“ …und nimmt den Lehrling zur Seite und sagt: „Großer, du hast das ja hier entdeckt. Du bist hier mein bester Mann. So, und jetzt mach das mal hier richtich rum. Übermorgen musset fertich sein.“

Der Lehrling völlig überrumpelt zu Manfred dem Bauleiter: „Da wo der Kanal hin sollte, ist jetzt ein Teil der Eingangstreppe. Wie soll ich das hinkriegen?“

Bauleiter Wampe: „Da musste gleich anfangen.“

Lehrling: „Aber das ist ein bisschen kompliziert, denn da muss ja [dieses und jenes noch] geändert werden. Ich weiß wirklich nicht, wie ich anfangen soll.“

Bauleiter Wampe: „Na mach doch mal!“


Heute, vor genau zwei Jahren habe ich zu mir selbst gesagt: „Nun mach doch mal!“ …und fing mit dem Bloggen an. Bauleiter Wampe* hätte es nicht besser gekonnt.

*Namen geändert

Image by John Koegh