„Nun mach doch mal!“

Jemand steht vor einem Problem, wo er nicht recht weiß, wie er es angehen soll. Es ist zu komplex, zu verwirrend und vielleicht viel zu beängstigend. Eventuell kam es auch noch überraschend. Da ist man manchmal wie gelähmt.

Vielleicht ist derjenige auch einfach nur durch Stress blockiert und erkennt das direkt Machbare nicht, obwohl es greifbar nahe und damit die Lösung vor seinen Augen ist. Ein einfaches Rezept dagegen ist, einfach Abstand zu nehmen und mal tief Luft zu holen.

Allerdings kann die Sache manchmal bizarr werden, wenn man vor lauter Stress (oder Arbeit oder Ablenkung) nicht gleich erkennt, dass man das Problem selbst verursacht hat.

 

Als Beispiel habe ich hier einen Fall, der sich vor vielen Jahren beim Bau eines Gewerbegebäudes tatsächlich so abgespielt hat (ich war dabei):

Auf einem unerschlossenen Grundstück mit leichtem Hang wurde der Abflusskanal für Regenwasser versehentlich auf der falschen Stelle, also bergauf angelegt. (So etwas wird in Beton gegossen.)

Das heißt, das Wasser hätte bei Regenwetter nicht abfließen können und zusätzliches Wasser wäre aus der Umgebung direkt in den Empfangsbereich samt den unteren Büros gespült worden. Mit anderen Worten, bei dieser Konstruktion muss das Regenwasser – entgegen der Schwerkraft – bergauf fließen.

Direkt am Tag der Fertigstellung stieß ein neuer Lehrling dazu. Gerade als er die Verschalungen abbauen und die Bierpullen wegräumen sollte, bemerkte er die geniale Fehlkonstruktion. Dies brachte er seinen Vorarbeiter schonend bei.

Dieser Vorarbeiter betrachtete das Werk minutenlang und rauchte erst einmal drei Zigaretten, bevor er sagte, das dies der Bauleiter so gewollt hat. Allmählich versammelten sich auch weitere Bauarbeiter staunend um diesen Kanal.

Bis der Vorarbeiter den Bauleiter rief: „Manfreeed!!“

Plötzlich öffnet sich weiter hinten die Tür vom Dixi-Klo, wo Bauleiter Manfred Wampe* herausguckt und der Vorarbeiter ihm noch zurief: „Der Abfluß stimmt nicht.“ Manfred guckt überrascht hinter sich direkt aufs Klo (Dixi-Klos haben keinen Abfluss). Der Vorarbeiter rief: „Nein, hier der Kanal! Komm mal her!“

Dann kam der selbstbewusste Bauleiter anmarschiert, wie ein bierbäuchiger Terminator im Clownskostüm, während er sich noch im gehen die Hose hochzieht. Und zwar so, dass – wie gewöhnlich – fast der komplette Arsch noch raus guckt.

Dieser Bauleiter sah den Kanal und lies sich genau erklären, warum das Wasser in der Realität nicht abfließen kann. Er verstand das Problem sofort und sah selbstverständlich auch ein, dass es mit dem Abfluss so nicht funktionieren konnte.

Ohne mit der Wimper zu zucken rief Bauleiter Manfred Wampe mit seiner grollenden Stimme, die lauter als ein V8-motor ohne Auspuff ist, vor versammelter Mannschaft den gerade eingetroffenen Bauingenieur zu:

„RUDI, KOMM MAL HER HIER! DU HAST SCHEISSE GEBAUT!“

Der Bauingenieur, der gemeint war, hat dies zwar gehört, sich aber nicht angesprochen gefühlt, weil er mit niemanden auf dem Bau per „Du“ ist.

Bauleiter Manfred Wampe rief einem seiner Kollegen daraufhin – deutlich für alle hörber – zu: „Sag mal den dürren Glatzkopf mit der Aktentasche da, der soll mal herkommen!“

Der Bauingenieur guckte verwundert, kam dann aber langsam und verwirrt angetippelt. Verwirrt auch deswegen, weil er doch mit niemanden per „Du“ ist.

Nach Begutachtung sagte der Herr Ingenieur dann mit doktorhaft leiser und feiner Stimme zum Bauleiter: „Herr Wampe, meine Planungen sind grundsätzlich korrekt, nur die Kanalführung wurde dezidiert falsch ausgeführt. Meine Unterlagen sind im Auto, die kann ich Ihnen gerne zeigen und auch noch mal erklären. Und da die Eröffnung des Gebäudes nächste Woche stattfinden soll, liegt das Ergebnis sukzessiv in Ihrer Verantwortung.“

Bauleiter Manfred Wampe erwiederte promt: „Mit die Pläne kannste dir deinen knochigen Arsch abwischen! Wir sind hier nicht im Büro. Wir arbeiten!“

Bauingenieur: „Und offenbar nicht ganz korrekt.“

Bauleiter Wampe: „Wovon hast du denn Ahnung? Du taugst doch nur zum rumstehen. Pass auf, dass ich nicht versehentlich auf dich drauf trete oder dich einmauere.“

Bauingenieur: „Warum in diesem Ton? Ist das nötig? Wie Sie sicherlich wissen, bin ich ausgebildeter Bauingenieur mit gewisser Erfahrung, und damit derjenige, der den Bau nicht nur plant, sondern auch überwacht. Ich bin schon vom Fach.“

Bauleiter Wampe: „Aus’n Schubfach biste! Wer hat denn den Mist hier entdeckt, du Nachtwächter?“

Bauingenieur: „Ich bin hier Bauingenier.“

Bauleiter Wampe: „Ja, du bist Bauingenieur. Bauingenieur bei der Post!“

Der Bauingenieur dreht sich eingeschnappt um und geht. Da sagte der Vorarbeiter zu Bauleiter Wampe ins Ohr: „Du Manfred, den darfste nicht duzen. Das’n Doktor. Aber ich glaub‘ der Planungsfritze hat recht…“ Und so erklärte der Vorarbeiter dem Bauleiter Manfred im Stillen nochmal, dass er, also Manfred, schuld sei.

Bauleiter Manfred dann: „Ach so.“ …und nimmt den Lehrling zur Seite und sagt: „Großer, du hast das ja hier entdeckt. Du bist hier mein bester Mann. So, und jetzt mach das mal hier richtich rum. Übermorgen musset fertich sein.“

Der Lehrling völlig überrumpelt zu Manfred dem Bauleiter: „Da wo der Kanal hin sollte, ist jetzt ein Teil der Eingangstreppe. Wie soll ich das hinkriegen?“

Bauleiter Wampe: „Da musste gleich anfangen.“

Lehrling: „Aber das ist ein bisschen kompliziert, denn da muss ja [dieses und jenes noch] geändert werden. Ich weiß wirklich nicht, wie ich anfangen soll.“

Bauleiter Wampe: „Na mach doch mal!“


Heute, vor genau zwei Jahren habe ich zu mir selbst gesagt: „Nun mach doch mal!“ …und fing mit dem Bloggen an. Bauleiter Wampe* hätte es nicht besser gekonnt.

*Namen geändert

Image by John Koegh

Als Angestellter bist du austauschbar

Für Lohnempfänger und abhängig Beschäftigte ist „flexibel“ die Bezeichnung für „austauschbar“. Und wer austauschbar ist, der ist jederzeit ersetzbar. Unbewusst wissen das viele. Und das macht ihnen Angst. Diese Angst treibt die Beschäftigten von Corporate Germany entweder zu permanenten Höchstleistungen oder in den Kollaps.

Zu viele Leute sind einfach nur beschäftigt, aber nicht produktiv. Und wer nicht produktiv ist, der ist nicht nur austauschbar, der ist verzichtbar. Und zwar für die, für die er arbeitet. Wieso sollte man denen sein Wohlergehen und Schicksal auf Gedeih und Verderb in die Hand legen? Besonders dann, wenn er sich schon dabei unwohl fühlt.

Eine Alternative wäre – wenn man sich nun schon sowieso unwohl fühlt – sich einmal so richtig unwohl dabei zu fühlen, die einmalige Entscheidung zu treffen, die Leute, für die er arbeitet auszutauschen. Kunden statt Vorgesetzte. Fans statt Vorstände. Geschäftspartner statt Kollegen-Mob. Zuwendung statt Marketingabteilung.

Als Macher bist du schon mal einmalig. Als inspirierter Macher bist du kreativ. Als kreativer Macher bist du herausragend. Egal, ob du für 1, 100 oder 1 Mio Leute herausragst. Sie ragen durch dich und mit dir heraus. Und du durch sie, keine Frage.

Und ragst du als Macher weit genug heraus, ragen deine Leute heraus – jeder für sich auf seine eigene Art – dann bist du mit dem was du machst so unersetzlich, wie deine Leute für dich. Wer will den Macher und den Kunden, der unersetzlich ist, noch austauschen?

 

Warum Leute mit wenig Zeit viel Spaß, Geld und Geschmack haben

Es gibt Leute, die so viel Zeit haben, dass sie vor dem Kauf eines Teppichs dessen Fransen zählen, um dann mit einer komplexen mathematischen Formel zu analysieren, ob das Preis-Leistungsverhältnis überhaupt stimmt. Stimmt es nicht, geht das ganze Theater wieder von vorne los..

Das kunstvoll eingearbeitete Muster des Teppichs spielt aber keine Rolle, denn das wäre ja eine (weitere) Entscheidung. Und zwar eine, die Geschmack voraus setzt. Außerdem, wie sollte man einen Kauf, der auf persönlichen Geschmack beruht statt auf messbare Fakten, mit Vernunft begründen? Eben.

Ist der Teppich dann endlich zu hause, stellt der spießige Besitzer als erstes eine Regel auf, die besagt, dass niemand auf die exakt geradlinig ausgerichteten Fransen treten darf. Darauf achtet er dann wie ein paranoider Adler, während gerade jemand widerwillig zu Besuch ist. Den hat er extra zum Besuch gedrängt, weil dieser seinen neuen Teppich bewundern soll.

Die selbe Person bereitet zum Beispiel den Kauf eines Autos nicht nur damit vor, erst einmal jeden Händler im Umkreis von 183 Kilometern mehrfach mit entgegenkommenden Preisnachlässen und Probefahrten zu nerven. Sondern auch damit, Jahre- oder Jahrzehnte lang Autozeitschriften zu kaufen, um Test-Tabellen und technische Daten zu vergleichen.

Danach wird die komplette restliche Freizeit geopfert, um Cent-genau den möglichen Wiederverkaufwert zu ermitteln. Ich finde das absurd, weil mir diese Vorgehensweise in jeglicher Hinsicht (Zeit, Nerven, Spaß, Individualität) mehr kosten würde als es bringt.

Zusammen genommen kosten dann all die angesammelten Autozeitschriften plus der gelesenen Online-Tests womöglich mehr als der von Erbsenzählern aus eben jenen vorgeschobenen Vernunftgründen gekaufte VW mit unvollständiger Ausstattung. — Die Lebenszeit und das liebe Geld sind für immer verloren.

Wenn wir schon beim Thema sind. Des Deutschen liebstes Kind, das Auto, hat zu parieren. Und das macht es auch, das können die heutigen Fahrzeuge — auch dank dem Öko-Jihad der EU-Beamten immer besser. Dieses aus rein praktischen Gründen gekaufte Vernunft-Auto ist seinen (potentiellen) Besitzern schon darin ähnlich, dass es keine Seele hat. Das ist Helene Fischer auf Rädern. (Im Gegensatz zu den Autos kennt die Gott sei Dank keiner im Rest der Welt.)

Andererseits gibt es nichts, was dem Deutschen Spießer einen größeren Schauer über den haarigen Rücken jagt, als der sorgenvoll erwartete Schaden direkt nach der Garantiezeit. So wie bei unpraktischen Autos, die aber Spaß machen und schön anzusehen sind. Oder wie bei richtiger Musik, die der Spießer nicht hören will, da sie ungewohnt fremd klingt, zu animalisch-wild ist und er kein Englisch versteht. Für den ist alles albern, was du tust. Nicht nur deine Musik.

Und ich wette mit dir, dass jeder, der ausschließlich mit Vernunft etwas kauft, tut oder entscheidet, ein anstrengender Langweiler mit Strickjacke ist, der verachtend mit dem Kopf schüttelt oder dich belehrt, wenn er sieht, dass du Spaß hast, instinktiv handelst oder nur anderer Meinung bist wie er. So jemand gönnt dir, genau wie sich selbst, nicht den geringsten Spaß. Eben weil er keinen Spaß versteht.

Typisch für diese Sorte Mensch ist das umfangreiche Sicherstellen, dass der ganze Tag verplant ist und man bloß nichts spontan entscheiden muss. Und wie der Tag schon beginnt, so verläuft dann das ganze Leben. Mit anderen Worten, der Spießer macht sich schon vorab so viel Sorgen um Dinge, damit diese auch tatsächlich eintreten.

Warum? Er hat einfach zu viel Zeit. Somit schafft dieser sich Probleme, die er sonst nie hätte. Und er versagt sich Genuss und Freude, die er sonst hätte (haben können).

Solche Leute fallen, nebenbei gesagt, nicht gern auf. Erst recht nicht durch emotionale Handlungen, die irgendwas mit Charisma oder Persönlichkeit zu tun haben. Da für sie nur die Fakten zählen, gilt jede emotionale Entscheidung oder das Hören auf die innere Stimme als dumm, zumindest als albern.

Der Spießer kauft eine Statue so eiskalt berechnend, weil sie in die unansehnliche Vitrine in der Ecke passt und nicht weil sie ihm als Kunstwerk gefällt. Letzteres gilt für ihn als albern, ist aber Sinn der Sache.

Spießer sind nicht nur humorlose Erbsenzähler ohne Geschmack und ohne Seele, sondern auch Gefangene ihrer selbst.

Das komplette Gegenteil wären erfolgreich Kreative, weil sie sich trauen, ihre innere Sau raus zu lassen und deshalb frei und für andere viel interessanter sind. Sie trauen ihrem Bauchgefühl mindestens genauso, wie den Verstand. Manchmal sogar noch mehr. Denn der Verstand hilft nicht immer weiter. Das habe ich bei mir selber schon erlebt. (Worüber ich übrigens froh bin.)

Wer keine Zeit hat, der muss sich schnell entscheiden. Er verplempert seine Zeit nicht und lebt in vollen Zügen. Er kümmert sich nur um das wichtige und hat letztendlich mehr Geld anstelle von weniger.

Er hat aufgrund seines Handelns im Endergebnis mehr Geld als Zeit. Er denkt nach, ja. Aber er handelt mit dickeren Eiern und daher oft aus dem Bauch heraus. Er macht dies mehr mit Attitüde und Courage denn mit langwieriger Faktenhuberei. Und solche Entscheidungen aus dem Innern heraus, und seien die noch so unvernünftig, bereut man – sofern man keinen damit schadet – so gut wie nie.

Selbst manche Unternehmungen sind so verkopft, dass sie nicht mehr funktionieren, weil der Funke zum Kunden nicht mehr überspringt. Jemand, der viel Zeit hat, der wurstelt lang hin und fängt an, sich weitere unnötige Sorgen zu machen. (Auch das kenne ich, weil ich es durch habe.)

Jemand, der wenig Zeit hat, muss seine Aktivitäten komprimieren. Langfristig ist das die bessere Alternative, erfordert aber eine gewisse Ausdauer. Und wer eine gewisse Zeit überdauert hat oder eine lange Trockenperiode ausharren musste, der verschwendet garantiert keine Zeit. Und die Menge an Zeit, die wir haben ist auf das ganze Leben bezogen am wenigsten garantiert.

Keine Zeit zu haben bedeutet nicht – wie Spießer denken – pausenlos zu arbeiten. Das ist genau so ein Blödsinn. Ich habe manchmal deshalb keine Zeit für langweilige Dinge, weil ich lieber in guter Gesellschaft einen saufen gehe. Oder lese. Oder reise. (Um dort mit frisch kennengelernten Leute einen saufen zu gehen.)

Der im Grunde schon feindliche Gegensatz des Spießers zu dir ist dessen Hang, mit seinem spießigen Getue und seiner Besserwisserei am liebsten dich in sein trostloses Weltbild ebenso einzupassen, einzufügen und hinein zu zwängen, wie sich selbst. — Damit auch du durch seine Zwänge mit gefangen bist.

Spießer sind Konformisten, also Angepasste Ja-sager, die Blind geworden, durch die Dominanz ihrer Ängste nur noch auf sich bezogen sind. Sie sind es, die Kindern ihre Träume rauben und entgegen ihrer angeborenen Talente und Neigungen zu funktionierende Drohnen deformieren.

Bei Tieren würde man in solchen Fällen von nicht artgerechter Haltung oder schlicht von Quälerei sprechen. Spießer sind die schlechtesten Vorbilder und die Ursache vieler Übel. Sie sind schädlich für ihre Mitmenschen.

Das sind Leute, die mit Freiheit nichts anfangen können. Die sollte man praktischerweise gleich in den Knast stecken.

(Danke Jezza.)

Wann du zu Klassentreffen gehen solltest und wann nicht

Wenn jemand, vielleicht auch du, von der Norm, also einer klassischen Angestelltenkarriere abweicht, eine längere Anlaufphase für sein Lebensziel braucht oder gerade nichts neues vorzuweisen hat, dann will er keinen sehen. Erst recht keine alten Klassenkameraden. Und überhaupt, wieso sollte man mit Leuten feiern, die man noch nie leiden konnte?

Als Abweichler – falls du hoffentlich einer bist – hast du es nicht leicht, dich zu rechtfertigen oder zu erklären, warum du vielleicht noch nicht den sozialen Status – besser, die gesellschaftlich anerkannte Norm – erreicht hast, wie gleichaltrige.

Damit meine ich solche gleichaltrigen, die man von früher aus der konformistischen Vergleichsorgie „Schule“ kennt.

Nehmen wir an, du hast – wie ich – die letzte Einladung zum Klassentreffen ohne mit der Wimper zu zucken ausgeschlagen. Allein die Vorstellung, sich gegenüber ehemaligen ‚Schulkameraden‘ mit deren typisch subtilen Konkurrenzgehabe messen zu müssen ist abstoßend. Und dann diese Fragen, nach denen man sich rechtfertigen muss:

„Was machst du jetzt eigentlich?“; „Kann man davon leben?“; „Wohnst du noch hier?“; „Fährst du immer noch mit Opa’s Auto rum?“;

Oder nach ein paar Drinks und einen Zacken schärfer: „War wohl nichts mit Amerika oder?“; „Wie? Du wohnst noch hier? Ich dachte du wärst vor 25 Jahren nach Australien ausgewandert? Hmm.“ Oder die volle Breitseite: „Also mein Sohn lebt in Cupertino und sitzt jetzt im Vorstand von Apple. Warst du nicht auch mal in Kalifornien?“

Fakt ist, die meisten, also fast alle, die dort aufkreuzen, haben ähnliche Karrieren vorzuweisen. Vorzeigeerfolge. Da sitzt der geballte Stolz hinter einer Fassade von 20 bis 50 Leuten. Und der altkluge Klassenliebling sitzt selbstzufrieden am großen Tischende. (Kann ich mir bildhaft vorstellen.)

Es findet ein Schaulaufen von Erziehungserfolg und Anpassung statt. Frei nach dem Motto: Wer sich am besten anpasst, der hat es geschafft. Und du kommst dir vor, wie ein dummer Junge. Oder wie ein dummes Mädchen, dass sich noch zusätzlich blöde Fragen anhören muss, wie: „Wie, du lebst (noch) allein?“ oder „Stört es dich noch, dass dein Ex-Mann meine Tochter geheiratet hat? Es ist nicht deine Schuld, es war ja seine Wahl. Er tut ihr richtig gut!“

 

Es gibt auch Klassentreffen, die man nicht vermeiden kann. Beispiel?

Angenommen du wirst durch irgend einen Umstand in eine ländliche Gegend, vielleicht ins beschauliche Alpenvorland nach Bayern*, eingeladen. Dort triffst du auf Leute, die du noch nicht kennst. Was meinst du, was die dir fragen?

„Was machen Sie beruflich?“ — Wenn du jetzt was von Künstler, Entrepreneurship oder von anderen ausgefallenen Visionen erzählst, dann heißt das „gar nichts“. Das führt automatisch zur nächsten Frage:

„Was machen Ihre Eltern?“ — Für die ist nicht wichtig, wer du bist. Eher, was du bist, durch das, was du machst und wo du herstammst. Die wollen, diplomatisch ausgedrückt, deinen Background erkunden, um dich in ihr Weltbild einzuordnen.

Ein perfekt angepasster Mensch, also ein Langweiler, hätte keine Probleme damit. Denn er hat sein Leben genau auf diese Fragen hin angepasst. Er denkt genauso wie die Fragesteller. Aber er denkt anders als du. Das heißt, selbst wenn er dasselbe Wort benutzt wie du, meint er womöglich ganz was anderes.

Künstler und Entrepreneure kennen solche Begegnungen und Erfahrungen im Umgang mit Klassentreffen oder konservativen Untertanen. Aber dieses Dilemma dreht sich mit hoher Wahrscheinlichkeit ab einem bestimmten Zeitpunkt ins Gegenteil um. Dann trifft man gerne solche Leute. Um sie zu schockieren.

Spaß beiseite. Du fühlst dich einfach wohler, wenn du dein Ziel ein Stück weit erreicht hast. Und vor allem wirst du merken, dass du plötzlich bewundert wirst. Aber nicht wegen irgendwelcher Statussymbole oder dein Einkommen. Nein, das haben die selber. Die bewundern dich, weil du dir selbst treu geblieben bist. Du hast dein Ding gemacht, ohne dich für eine Karriere verbiegen zu müssen. Du lebst ein Leben, das die nie haben können. Du bestimmst, was und wie du was machst. Das bewundern die.

Wenn es soweit ist, dann genieße es. Du hast es verdient. Und falls du dich schon etabliert hast oder deinen Traum lebst, dann weist du, dass ich weiß, wovon ich rede.

*) Nichts gegen Bayern, es dient hier nur als mustergültiges Beispiel. Bayern ist wunderschön. Bayern ist herrlich.

Volksscheiße

Volkswahn, Volks-Flat(-Rate), Volksverdummung, Volkskrankheit, Volksbank, Volksschule, Volkstümliche Musik, Volkssolidarität, Volkstheater, Volksverarschung, Volkswagen, Volksempfänger.

Du fühlst dich ‚vervolkt‘? Macht nichts, ich auch.

Alles, was mit der Silbe „Volks“ anfängt, scheint den Eindruck zu erwecken, dass es sich verkaufen muss wie verrückt. Oder das man es haben muss, weil es Volks-irgendwas ist. Und egal, ob es eine Krankheit ist oder nicht. Wenn „das Volk“ über irgend etwas jammert, dann muss man auch mit jammern. (Um nur nicht positiv aufzufallen.)

Und was die Begehrlichkeit von Volksprodukten anbetrifft (ich bin ja Entrepreneur und daher nicht volkskonform), ist für mich ‚Volk‘ kein Grund zum Kaufen, sondern zum Nicht-Kaufen.

Es macht vergleichbar. Denn das Volk ist ja so eine homogene und leicht manipulierbare Masse, die man durch den Fleischwolf dreht, damit dann Einheitsbrei herauskommen muss.

Kurz: Volk bedeutet Masse. Und Masse bedeutet die sicherste Möglichkeit, dass es sich darin besonders gut untergehen lässt.

Das Gegenteil sind auffällige, unbequeme und provokante Filme, Songs, Bilder, Produkte, Services, Ansichten, Gruppen, Konzepte und Ideen. Jene sind klein genug, um durch das Volksnetz hindurch zu schlüpfen. So können sie ihr eigenes Ding kreieren und ihr eigenes Ding selber sein. Denen interessiert es nicht, was das Volk macht (oder machen soll).

Denen interessiert nur eines: Aufmerksame Zuwendung zum Einzelnen, der sich wiederum für jene (oder was sie machen) interessiert. Dagegen stinkt blanke Volksnähe ab.

Falls dein Zahnarzt Linkshänder ist

Mir ist aufgefallen, dass alle Zahnärzte, die ich bei der Arbeit gesehen (oder erlebt) habe, den Patienten immer rechts neben sich auf dem Stuhl haben. Aber macht der das anders, wenn er Linkshänder ist? Sagt er dann: „Ich ziehe lieber den Zahn, als ihn zu füllen, denn beim Bohren habe ich nicht so viel Gefühl in der rechten Hand.“

Natürlich ist das Quatsch. Ein gutes Beispiel sind Gitarristen, die als Linkshänder auf einer handelsüblichen Rechtshänder-Gitarre spielen. Gary Moore war so einer. Ebenso macht das Dave Kilminster. Wiederum genau umgekehrt machen das Greg Sage oder Eric Gales.

Man könnte es selbst ausprobieren. Beim Autofahren hatte ich in Ländern mit Linksverkehr nie Probleme. Außer in den ersten paar Sekunden. Da hatte ich statt den Blinker zu setzen, bei strahlendem Sonnenschein die Scheibenwischer angemacht. Das war es auch schon. Danach bin ich auf Anhieb im englischen Großstadtverkehr gut klar gekommen.

Ich bin Rechtshänder. Mein Bruder ist Linkshänder (eher Beidhänder). Und es gibt Leute, die haben zwei linke Hände, können dafür andere Dinge richtig gut, die keine Fingerfertigkeit erfordern. Aber es gibt einen gewissen Reiz, die Dinge einmal anders in die sprichwörtliche Hand zu nehmen. Auch im übertragenden, also unkomfortablen Sinne.

Was wäre, wenn man ein Buch schreiben will und hinten, beim Schluss, anfängt und sich dann Kapitel für Kapitel wortwörtlich „nach vorn arbeitet“?

Oder was wäre, wenn man einen neuen Song schreiben will und eine vorhandene Melodie – zumindest teilweise – rückwärts spielt. Oder man veranstaltet zur Belustigung des Publikums ein Autorennen, wo alle wie die bekloppten rückwärts fahren.

Einige Entrepreneure und Künstler – mich zeitweise inbegriffen – stehen morgens um 3 Uhr auf, basteln an ihren Werken und Konzepten oder schreiben Beiträge für den Blog, gehen dann arbeiten in einem Job. Und wenn Feierabend ist, gehen sie sofort ins Bett. Der Vorteil ist klar: Morgens haben sie die meiste Energie und oft sogar kreative Schübe. Das können sie dann in ihr Vorhaben stecken, anstatt die wertvolle Energie für den Tagesjob zu verheizen. Außerdem ist es morgens ruhiger, womit keiner stört oder anruft.

Du kannst Produkte in Dienstleistungen umwandeln oder statt Festpreise Gebühren erheben. Oder alles anders herum.

Rein gedanklich kannst du dich mit genug Fantasie in ein anderes Land versetzen und dabei überlegen, wie du es dort anstellen würdest, was du hier gerade machst. Das bringt dich auf neue Ideen.

Es geht eigentlich nicht um Links- oder Rechtshänder. Sondern um unübliche, ungewohnte Herangehensweisen, die einem ‚bequem‘ aus der Komfortzone ziehen. Dafür musst du keine extremen Anstrengungen in Kauf nehmen. Du musst nur schräg genug denken und den Mut haben, es auszuprobieren. – Im Alltag, in der Kunst oder beim Sex.

Habe Geduld mit dir selber und mit anderen. Gut Ding braucht Weile. Und Übung. Und Neugierde.

Und wenn du dich daran gewöhnt hast, etwas auf neue Art zu tun, und der Reiz irgendwann verloren gehen sollte, dann änderst du die Taktik wieder. Wenn du das oft genug tust, bist du dir selber immer einen Schritt voraus — und für die, die du es tust, stichst du womöglich gerade deshalb heraus.

Warum Herrchen immer so aussieht wie sein Hund

Es ist kaum zu übersehen, dass Frauchen und ihr Hund vom Aussehen her eine verblüffende Ähnlichkeit haben. Immer.

Ich will jetzt nicht analysieren, warum das so ist. Wahrscheinlich ist es unbewusst. Aber es lässt sich sich auch auf andere Bereiche übertragen.

Nach meiner Beobachtung ist es in fast allen Betrieben so, dass die Angestellten in vielen Punkten ihren Chef ähneln. Im Guten wie im Schlechten. Und nicht nur äußerlich.

 

Vor ein paar Wochen waren bei einem Nachbar von mir die Maler, um die Fassade des Mietshauses neu zu streichen. Es waren zwei Maler, die herum standen und lange ihr unvollendetes Werk betrachteten. Ich ging an die Herren direkt vorbei und grüßte (ich bin groß, gehe aufrecht, sehe jedem in die Augen und habe eine laute, unüberhörbar markante Stimme).

Ich sagte: „Hallo! Guten Morgen!“ Deren Antwort war ein schweigendes Glotzen. Die glotzen mich an, als ob sie einen Klingonen auf Urlaub gesehen hätten. Ansonsten kein Ton.

Am nächsten Tag lief ich wieder dort vorbei. Die Maler pinselten irgendwas oben hinter der Dachrinne an. Der ältere, etwas dickliche und weißhaarige Maler-Chef quälte sich gerade mühsam aus seiner neuen weißen Mercedes A-Klasse und stellte sich jetzt unten an die selbe Stelle am Eingang. Er sah mich an. Ich grüßte freundlich. Er: Schweigendes Glotzen. Aber diesmal glotze ich zurück und hob dabei langsam und demonstrativ meine rechte Augenbraue. So nach 5 Sekunden sah er weg. Und dann nach oben, zu seinen Angestellten und ohne was zu sagen.

Ich ging in dieses Haus und bekam Gewissensbisse, weil ich vielleicht unwissend über andere Leute urteile, ohne sie oder ihre genaueren Probleme zu kennen.

Aber. Für Ausländer ohne deutsche Sprachkenntnisse sahen mir diese maulfaulen Maler-Typen definitiv zu deutsch, zu lokal beheimatet aus. Aber noch bevor ich meinen Nachbarn taktvoll fragen wollte, ob die Maler vielleicht taubstumme oder von einer Behindertenwerkstatt seien, hörte ich sie draußen in der bei uns typischen Mundart grölen. Und der Chef grölte am lautesten. – Alles klar!

Etliche Tage später ging ich wieder dort vorbei. Diesmal waren drei andere Angestellte da, die ich jetzt absichtlich ignorierte. Aber zu meiner Überraschung riefen sie mir ein freundliches „Guten Morgen!“ und „Morgen!“ entgegen. Einer mit polnischem Akzent. Ich reagierte sofort und grüßte zurück und fragte darauf meinen Bekannten, ob er die Firma gewechselt hat, da jetzt andere hier arbeiten und das Haus noch nicht fertig zu sein schien. „Nein“ sagte er „das sind nur die Gerüstbauer“. Als er den Namen dieser Gerüstbau-Firma nannte, fiel mir ein, dass ich den Inhaber aus früheren Jahren flüchtig kenne. Und der ist mir als netter Typ in Erinnerung.

Mittlerweile ist das Haus „fertig“, und die Maler brauchten mehr als doppelt so lange, wie veranschlagt. Nur sehe ich keinen Unterschied zu vorher. Ich fragte meinen Bekannten halb im Scherz: „Haben die überhaupt was gemacht?“ Er: „Weiß ich auch nicht.“ Aber mein Bekannter ist ja nur der Mieter und nicht Eigentümer….

 

Kommen wir nun zu einem völlig anderen Thema mit völlig anderen Malern.

Vor ein paar Jahren fand bei uns im Ort eine Kunstausstellung in einer Schule statt. Da jemand teilnahm, den ich kenne und ihn nicht brüskieren wollte, ging ich hin und sah mir die Gemälde der verschiedenen Künstler an.

Ehrlich, ich fand die meisten Bilder mäßig bis scheiße. Da war keine Inspiration oder ein gewisses Etwas, das meinen Blick länger als einen Bruchteil einer Sekunde an eines der Bilder verweilen lies, ohne auf der Stelle eine Depression zu bekommen. Ich fragte mich, womit die wirklich ihr Geld verdienen.

Ich brauchte nicht lange, um mir vorzustellen, wie die jeweiligen Künstler aussahen und wie die drauf waren, von denen die Bilder stammten. Ich war in der Lage, unter den Besuchern die Künstler als solche zu identifizieren.

Es waren komisch riechende, alte Männer mit langen ungepflegten Haaren a-la Einstein, Frauen mit riesigen Röcken und riesigen Gebissen, klobigem Holzschmuck, Holz in den verlausten Haaren oder mittelalterlichen Kopftüchern. Die erinnerten mich schlagartig an als Trümmerfrauen verkleidete Neanderthaler-Weibchen. Oder so was in der Art.

Dann schließlich wurden sie vorgestellt und ohne zu wissen, wer was gemalt hat, lag ich bei allen richtig. Die sahen ganz einfach so aus, als ob sie aus ihren eigenen Bildern entsprungen wären. Mit anderen Worten, die Kunst sah aus wie der dazugehörige Künstler.

 

Wieder anderes Thema: Blogger.

Mir ist aufgefallen, das unregelmäßig gepflegte Blogs – unabhängig von ihrer Qualität – immer von Leuten betrieben werden, die zwar kompetent und freundlich-zuvorkommend sein können, einem aber am nächsten Tag nicht mehr kennen. (Gelegenheits-Psychos.) Auch hier gilt auf äußerst direkte Art: Wie der Blog, so sein Betreiber.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass es solche Ähnlichkeiten überall gibt.

Gibt es bei dir Ähnlichkeiten in Bezug zu dem was du machst oder mit wem du im Verhältnis stehst? Wenn ja, dann hoffentlich mit Absicht.

Hasselhoff, Europop & D-Land

Deutschland ist Idiocracy. Auf kulturelle Art. Beispiel? YouTube zeigt die besten Videos nicht an. Wegen der Musik. Das bringt zwar einen Vorteil für solvente, aber minderbegabte deutsche Bands in eine Lücke zu stoßen. Da ich aber Musik hören will, muss ich Deutschland umgehen. Auch was den hierzulande (musiktechnisch) schlechten Einfluss auf mich betrifft, bin ich eigen.

Wenn man sich die deutschen Chartplatzierungen der letzten 50 Jahre anschauen und sich sämtliche Nummer-Eins-Hits in chronologischer Reihenfolge hintereinander anhören würde, dann käme man zu zwei eindeutigen Feststellungen:

  1. Deutsche haben keine Ahnung von Musik…
  2. …bis heute hat sich daran nichts geändert.

Es tut mir leid. Ein Land, dessen Bewohner Leuten, wie Hasselhoff und Majors zu Top-Ten-Stars erheben, das kann ich nicht für voll nehmen.

Erst neulich hatte ich das (wirklich) quälende „Vergnügen“, auf einer Party zu Europop tanzenden Leuten zu zusehen.

Der Beat ist der selbe, den ich seit 25 Jahren aus all den kaputt ‚getunten‘ Opels klopfen höre. Die tanzenden Leute sahen aus, als ob sie ein Besenstil verschluckt hätten und alle gleichzeitig Stromstöße im Fünftel-Sekundentakt bekamen. Sehr klinisch-technisch, roboterhaft. Eben uninspiriert. Egal, welche Musik lief, tanzen kann in D. auch keiner.

Da sollen die besser ‚getunte‘ Opels fahren. — Mit geschlossenen Scheiben und volle Pulle The Opel Edit Hoff Remix von MC Oompah.

Mit Rock sieht es so aus, dass die wenigen deutschen Radiosender, die jenes Wort (Rock) im Label haben, nur 18 Songs aus den Siebzigern kennen und ständig wiederholen, von denen nur einer entfernt mal was mit Rock zu tun hatte.

Das gute an dem Geschmacksverirrungen und der offensichtlichen Ahnungslosigkeit ist, dass das alles kein Thema mehr ist. Nicht für mich. Und höchstwahrscheinlich auch nicht für dich. Aber vielleicht nervt dich auch was anderes mit ähnlichen Blödheitsfaktor. (Mit Le Floid fang ich hier erst gar nicht an. Auf diesen braven und konformistisch-ängstlichen Milchbubi wirkte die ausgewichste Merkel so souverän wie Christopher Walken als Mafiaboss.)

Bleiben wir daher lieber bei Musik. Charts sind ja – dank YouTube, Vimeo & Co sowieso egal. Und bei 81 Millionen Einwohnern gibt es in Deutschland noch genug Leute, die von den selben Sachen genervt sind wie du. Das ist eigentlich die Chance für jeden Künstler. Sofern er jemanden anstecken kann, der nicht schon komplett geistig verbrüht, also angepasst ist.

Jetzt mal eine Frage, die ich mir schon von Kind an gestellt habe: Leiden Deutsche von Natur aus an Ahnungslosigkeit? Oder kann man so was anerziehen? Werden alle Piefkes in frühem Alter gegen Talent, Mut, Humor und Geschmack zwangsgeimpft?

Auffallend ist die typische Blasiertheit und ‚Distanz‘ Neuem gegenüber. Besonders wenn es aus den eigenen Reihen kommt. Das wiederum zeugt von mangelndem Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten.

Und woher kommt das? Aus einem Bug in der teutonischen Qualitäts-DNA? Eher nicht, wenn man bedenkt, das deutsche im Ausland durchaus ein eigenes Leben entwickeln und Normen und Märkte aufmischen können. Deshalb sind einige von ihnen ja auch ausgewandert.

Bleiben wir im Inland.

Die Vorlieben der Deutsch-Deutschen sind auffallend homogen, also nahezu einheitlich und so was von harmlos. Ich würde fast sagen, sie sind geschmacklich und von ihrer Weltsicht her so weit genormt, dass jede Form von Ausdruck ungelenk und linkisch-zurückhaltend rüber kommen muss. In der deutschen Mainstream-Presse werden diese Eigenheiten sogar als Tugenden verkauft. Der mit ‚der großen Klappe‘ hingegen kommt nie gut weg.

Nein. Es ist die Angst, das Gesicht zu verlieren, die Angst aufzufallen und aus der Reihe zu tanzen. Selbst, was den eigenen Geschmack betrifft, passt man sich an. Einem gefällt, was allen gefällt. Das ist sicherer und man hat den sozialen Rückhalt. (Und einen eventuellen Markt!) Nicht umsonst werden Luschen zu Stars und Erben zu Leistungsträgern.

Und noch was: Inspiration muss man sich trauen. Denn wer nicht den Mut aufbringt, auch gedanklich womöglich falsche Schritte zu gehen, der verharrt sein Leben lang in verordneter Schockstarre… das ist nicht angenehm, besonders wenn man unterbrochen wird durch gelegentliche Stromstöße von MC Oompah.

 

Zur Korrektheit verdammt

Wer korrekt ist, der ist nicht kreativ. Und wer nicht kreativ ist, der lebt in ständiger Gefahr. In Gefahr vor Regelverletzung und Abweichung von irgend einer Norm. Denn wer sich streng an alle Vorgaben hält, hat es zunehmend schwer.

Der Druck, den Anforderungen zu genügen, alle Vorgaben zu erfüllen oder sich generell anzupassen nimmt zu. Mit anderen Worten, Einheitsbrei zu produzieren wird immer schwieriger, da durch die zunehmende Vergleichbarkeit, nur noch die reine Leistung und dessen stetige Steigerung zählt.

Beispiel aus einem völlig anderen Blickwinkel:

Könnte jemand als im Großkonzern angestellter Designer ein aufregendes Produkt entwerfen, dass Kunden und Presse vom Hocker reißt? Ja, das könnte er.

Und ein Gremium von Vorgesetzten wird dafür sorgen, dass nicht sein Entwurf, sondern der langweilige eines Kollegen in Produktion geht. Warum? Weil man dem Kunden ein aufregendes Design nicht zumuten kann. Die Leistung besteht hierbei, sich oder ein Produkt dem der Konkurrenz anzupassen.

Der Konzern will die Masse ansprechen. Und das sind auch die Kunden der Konkurrenz. Und die macht ja bekanntlich immer alles richtig. Also gleicht man sich, um Erfolg zu haben, denen an, bis kein Unterschied mehr zu erkennen ist. Nur noch das Label ent- oder unterscheidet.

Für Begeisterungsstürme bei Presse und Verbraucher sorgt dann das Sondereinsatzkommando der Marketingabteilung. Mit richtig viel Geld.

Zurück zu den Designern (Entwicklern, Konstrukteuren):

Der Designer mit dem gefälligen, aber langweiligen Produkt hat sich korrekt verhalten. Gegenüber seinen Vorgesetzten und der Unternehmensführung. Als schlechter Designer hat er eben nicht zu viel gewagt, weil der Vorgesetzte sein Kunde ist. (Und nicht der Endverbraucher oder Konsument.)

Das mit dem (guten) Designer kann einem „selbstständigen“ Geschäftsinhaber aber auch passieren. Auch er kann zu Gunsten eines schlecheren übergangen werden. Nur ein wenig anders. — Frage:

Kann ich als Bestattungsunternehmer in eine kriminelle Gegend mit unnatürlich hoher Todesrate ziehen und dann eine Leuchtreklame außen anbringen? Wer wird wohl am ehesten was dagegen haben? Der Hauseigentümer, das Amt für Denkmalschutz oder die Gangster?

Wir wissen, wer das ist: Das Amt.

Mit Hauseigentümern kann man reden und Gangster kann man bezahlen. Aber ein deutsches Amt? Falls die Gangster neben dem normalen Schutz keine Sonderleistungen gegen Aufpreis anbieten oder ich diese aufgrund meiner spießigen Korrektheit nicht in Anspruch nehme, dann wird es nichts mit der schicken Reklame.

In dem Falle muss man anders, aber mindestens genauso dumm denken, wie ein Amt. Eben genauso, wie der ’schlechte‘ Designer denkt wie sein Chef.

Den Regularien und damit dem Amt, samt der damit gezüchteten Zombie-Armee von Abmahnanwälten ist es egal, wie deine Außenreklame, Website oder Broschüre aussieht. (Solange nichts unerlaubtes drin oder dran steht beziehungsweise weggelassen wird.)

Noch viel weniger als das geschriebene Wort oder das geliehene Bild kann kein Amt deine Geschäftsgebahren nachvollziehen, sprich, dein Marketing. Und was für Behörden aufgrund fehlender Regulierung nicht nachvollziehbar ist, dass kann man nicht verbieten. Und was ein Chef am Produktdesign nicht sieht, dass kann er nicht verhindern. Ein guter ’schlechter‘ Designer weiß das.

Das bedeutet, dass dein kreativer Freiraum natürlich wächst, je mehr du dich von festgefahrenen Konventionen entfernst und gleichzeitig weißt, wie du wen zu nehmen hast. (Kunde tickt anders als Amt, Vorgesetzter anders als Lebenspartner, Hund anders als Katze.)

Ebenso natürlich ist es, dass man ständiger und manchmal übertriebener Kontrolle unterliegt, wenn du dich einem großen System oder Reglement unterwirfst, anstatt ein eigenes zu etablieren (um ein größeres zu unterwandern).

Es ist kein Problem, falls du das nicht möchtest oder kannst. Denn es reicht oft, einem kleineren System beizutreten, dass du noch mit beeinflussen kannst oder wo dein Wort zählt. Aber auch dazu musst du kreativ quer denken.

Ansonsten gilt: Wer wenig kreativ ist, der muss punktgenau Vorgaben erfüllen und ist somit zur Korrektheit verdammt.

Du musst zum Judentum konvertieren…

  1. …bevor du erfolgreich Komiker werden oder einen Film machen kannst.
  2. Du musst schwul werden, um erfolgreich Mode zu kreieren
  3. Du musst Schwarz sein oder einen Migrationshintergrund haben, um Rapper zu werden.
  4. Du musst Schweizer werden, um in Demokratie und Wohlstand zu leben.
  5. Du musst dich in eine reiche Familie einheiraten, um zufrieden und glücklich zu werden.
  6. Du musst viele Likes auf Facebook haben, um im Internet Geld zu verdienen.
  7. Du musst einen Job auf Lebenszeit haben oder Beamter werden, um ohne Angst zu leben.
  8. Du musst berühmte Leute kennen und einen Doktortitel haben, damit man dich respektiert und anerkennt.
  9. Du musst einen schwarzen Porsche Cayenne fahren, um ein richtiger Mann zu sein, der auf dem Gehweg parkt.
  10. Du musst mindestens eine Million Euro besitzen, um reich zu sein.
  11. Du musst viele Kommentare unter jeden deiner Blog-Beiträge haben, um weiter zu bloggen.
  12. Du musst einen Businessplan schreiben, um ein Unternehmen zu gründen.
  13. Du musst einen Plattenvertrag haben, um als Musiker Erfolg zu haben.
  14. Du musst in der Schule aufpassen, um später ein sicheres Einkommen zu haben.
  15. Du musst jammern, um als echter Kaufmann zu gelten.
  16. Du musst immer machen, was die anderen machen, um alles richtig zu machen.
  17. Du musst anderen Angst einjagen, sie manipulieren und drohen, damit sie das richtige tun.
  18. Du musst dich zur Frau umoperieren lassen, um Innenarchitekt zu werden.
  19. Du musst dich runter hungern und aussehen, wie aus einer Werbeanzeige, um attraktiv und sexy zu sein.
  20. Du musst immer einen Sündenbock parat haben, wenn es bei dir nicht so läuft.
  21. Du darfst im Sommer nichts kaltes trinken oder die Klimaanlage einschalten, weil du dich sonst erkältest.
  22. Du musst austauschbar werden, um flexibel zu sein.
  23. Du musst Weinkenner sein, um Wein zu genießen.

Wenn du bis hier her gelesen hast, dann hast du schon gemerkt, dass diese 23 Punkte allesamt Regeln sind. Mythische Regeln für Stereotype. Stereotype sind konventionelle, Klischee-behaftete Vorurteile. Das ist etwas, dass oft das eigene Denken, das Selbstvertrauen und die Kreativität einschränkt. Stereotypen dienen außerdem perfekt als Sündenböcke. Selbst wenn sie stimmen, wird es nicht besser. (Ich weiß. wovon ich rede.)

Und Mythen sind Mythen. Also so was wie Aberglaube. (Was richtig angewendet als Placebo eine positive Wirkung haben kann.)

Aber. Das Problem sind nicht die Stereotype und Mythen an sich. Sondern unser (teilweise) stereotypes Denken. Die Alternative zum stereotypischen Denken wäre, diese Regeln (oder zumindest eine davon) zu durchbrechen. (Oder bewusst zu bedienen. — Was ich selber mache.) Erst dann können wir frei und unbefangen was neues wagen.

[Ja ja, Seth ist der Größte… Happy Bithday!]