Ein 56-jähriger Bekannter sagte mir neulich, dass er ganz gerne nochmal 30 Jahre jünger wäre. Aber mit dem Wissensstand von heute. Das klingt zuerst plausibel und nachvollziehbar. Aber auch bedauerlich. Zudem wäre es nutzlos, selbst wenn dies wie in einem Hollywood-Film funktionieren würde.
Diese Woche spiele ich ein fiktives Gedankenspiel, eine kleine Geschichte als Dreiteiler, die ich mal experimentell eskalieren lasse, nur um zu zeigen, was dann wirklich passieren könnte.
Am Montag [2. Februar 2015] habe ich Teil 1 veröffentlicht, am Mittwoch [4. Februar 2015] Teil 2 und heute am Freitag [6. Februar 2015] gibt’s als Finale Teil 3. Mein Bekannter fand die Idee richtig gut, obwohl er dabei nicht so gut weg kommt. Führen wir uns das mal plastisch vor Augen:
Heute geht’s weiter mit dem Finale der Geschichte — Teil 3:
Was bisher geschah, kannst du in Teil 1 und in Teil 2 erfahren. Steigen wir also jetzt direkt dort wieder ein, wo er, mein Bekannter, aus dem Auto gestiegen ist.
Ich frage: „Naa? Wieder da?“
Keine Antwort, er schmeißt seine Zigarette weg, zündet sich die nächste an und hat das Gesicht zur Faust geballt. Komisch, denn ich kannte ihn nur als Nichtraucher.
Ich hake nach: „Was ist los? In welchem Jahr bist du gelandet? Etwa 1970 statt 85?“
In dem Moment, als ich das sage, will er mir – mit Kippe in der Schnauze – an den Kragen.
Eine Frau, die im Auto noch am Steuer sitzt, pfeift ihn zurück: „Schatz, lass es!“
Er beruhigt sich etwas und die Frau steigt aus. Ich hingegen sage erst einmal gar nichts und warte ab.
Dann redet er mit tiefer und ungewohnt rauher Stimme: „Duu!“ (hüstelt) „Du hast… Du hast es gewusst!“
Ich: „Was denn?“
Er will mir wieder an den Kragen, schafft es aber nicht, weil er husten muss und ich einen Schritt zurück trete.
Ich frage: „Brauchst du einen Drink?“
Jetzt quillt ihm der Hass samt Angriffslust direkt aus den Augen und er will wieder auf mich losgehen. Die Frau beruhigt ihn.
So bitte ich die beiden, sich doch erst einmal hinzusetzen und mir alles ganz genau und in Ruhe zu erzählen. Ich biete an, wenn es ein Problem gibt, dann finden wir eine Lösung.
Mein Bekannter redet langsam wieder: „Ja, dein Drink hat mich ins Jahr 1985 geschickt. Und ja, ich falle nicht gleich tot um, weil die 30 Jahre rum sind.“
Ich: „Verstehe… für mich waren es zwar nur 30 Sekunden, aber egal.“
Er: „Hör zu! Als ich damals ankam, habe ich den Platz meines damaligen Ichs eingenommen.“
Ich: „Interessant.“
Er: „Da ich all die Spielregeln für die nächsten, ich meine, vergangenen 30 Jahre bereits kannte, handelte ich danach. Ich habe Porsche- und Microsoft-Aktien gekauft und habe versucht mein Leben zielgerichtet zu gestalten, alles mit dem Wissen und der Erfahrung aus 56 Lebensjahren. So wurde ich vermögend.“
Ich: „Super! Und?“
Er (weiterhin mit dieser unheimlich tiefen, asthmatischen Stimme): „Es gab Nebenwirkungen.“
Ich: „Also den Drink habe ich sorgfältig zubereitet. Der hat keine Nebenwirkungen. Den habe ich an unzähligen Ratten getestet.“
Er: „Es war nicht der Drink.“
Ich: „Die Rattenplage?“
Er: „Nein, du Idiot! Es ist mein Wissensstand gewesen. Denn darauf basierte mein Leben bis Ende der Neunziger.“
Ich: „Was kam dann?“
Er: „Es kam, wie es kommen musste.“
Ich: „Na was denn?“
Er: „Da ich mich exakt an alle Spielregeln hielt, die ich aus meinem ersten Leben kannte, vermied ich jegliche Fehler. Dadurch wurde ich zwar reich und angesehen. Aber, was ich nicht wusste und du mir auch nicht gesagt hast ist, dass ich auch nicht den geringsten Fehler machen durfte.“
Ich: „Echt jetzt? Wieso das denn?“
Er: „Weil sonst das gesamte scheiß Kartenhaus zusammen fällt. Genau wie ein Betrug oder eine beschissene Lüge oder so was in der Art.“
Ich: „Und genau das ist passiert, richtig?“
Er. „Ja. Ich war nicht ich selbst. Ich habe Leute beobachtet, Quereinsteiger ohne jegliches Wissen sozusagen, die zwar langsamer zu Ruhm und Ehre kamen, wie ich. Aber die frei und unbekümmert, fast schon entspannt ihr Leben führen konnten.“
Ich: „Während du gefangen warst in dem, was du durch dein reines Wissen aufgebaut, aber nicht mit Leidenschaft oder eigener Intention verfolgt hast.“
Er: „Genau.“
Ich: „Du warst jung, warum hast du dann nicht noch mal komplett bei Null angefangen – so wie die Leute, von denen du gerade erzählt hast?“
Er: „Weil ich es nicht konnte.“
Ich: „Wieso nicht?“
Er: „Mann, ich war anhängig. Abhängig von Geld, anhängig von Leuten, denen ich nicht vertraute, abhängig von Drogen und Alkohol. Und abhängig von meinen eigenen Vorgaben und Regeln, wie ich alles nochmal neu und richtig machen wollte. Das war ein Zwang und es fing an, als ich merkte, dass ich das nicht lange aufrecht erhalten konnte. Denn ich war nicht mehr kreativ, sondern kam mir schlimmer vor als ein berufsmäßiger Sohn, der Vati’s Geld und Beziehungen nutzt. Ich erklärte anderen, wie sie zu leben hätten, obwohl ich selber keine Ahnung hatte. Außerdem ist mir meine erste Frau mit der gesamten Kohle abgehauen. Ich hatte Schulden.“
Ich: „Sonst noch was?“
Er: „Ja. Acht weitere Frauen.“
Ich: „Aber nicht alle gleichzeitig?“
Er: „Gleichzeitig was?“
Ich: „Die Frauen.“
Er: „Nicht die, mit denen ich verheiratet war. Sie hier, sie ist meine jetzige Lebenspartnerin. Wir haben uns in einer schäbigen Kneipe kennen gelernt und stützen uns gegenseitig.“
Ich: „Rein technisch, also von der Lebenserwartung, sorry, ich meine Lebenserfahrung, her bist du jetzt …warte… 86 Jahre alt. Mit dem Potential muss doch was zu machen sein.“
Er: „Hast du eine Lösung, du Super-Zauberer?“
Ich: „Ich denke, die habe ich.“
Er: „Raus damit!“
Ich: „Die ultimative Lösung für dein Problem ist dein derzeitiger Stand der Dinge. Das heißt, du bist nach wie vor 56 Jahre alt. Und du bist jetzt unzufrieden mit deinem Leben, so wie du es auch warst, bevor wir uns vor einem Monat das erste Mal getroffen haben.“
Er: „Es war vor 30 Jahren, Mann.“
Ich: „Und gleichzeitig vor einem Monat, plus deinen jetzigen, weiteren 30 Jahren Lebenserfahrung.“
Er: „Soll heißen…?“
Ich: „Höre auf dich und auf niemanden sonst. Gehe dabei von dem aus, was du hast und nicht von dem, was du nicht hast.“
Er: „Ey, du Klugscheißer, ich habe 3 Millionen Schulden und eine verkorkste Gesundheit, verdammt nochmal!“
Ich: „Richtig, nutze dies als Treibstoff, als Grund, Dinge zu ändern, die du ändern kannst. Berichte darüber und helfe anderen, nicht den gleichen Fehler zu begehen. Tue, was du schon immer tun wolltest und vor allem: höre dabei auf niemanden.“
Er: „War’s das jetzt?“
Ich: „Nicht ganz. Nehme nie wieder drei Drinks von einem Zauberer an.“
Er: „Für mich ist das alles zwar schon 30 Jahre her. Aber eines weiß ich noch genau: es waren nur zwei Drinks.“
Ich: „Hier ist der dritte.“
Er: „Und was bewirkt der jetzt schon wieder? Das Zeug sieht ja eklig aus! – Kann ich mal riechen?“
Ich: „Noch nicht, warte. Das ist meine Spezial-Reserve. Wenn du das trinkst, versetzt es dich in genau den Zustand zurück, wie du ihn hattest, bevor wir uns das erste Mal getroffen haben. Nicht mehr und nicht weniger. Willst du das?“
Er. „Und was ist mit meiner Frau?“
Ich: „Nichts, du hast deine Frau wieder, wie vor einem Monat. Jene, mit der du 32 Jahre verheiratet warst.“
Er: „Ach die. Hmm. Aber was ist mit Ihr hier? Mit Ihr bin ich mittlerweile auch schon über zehn Jahre zusammen. Was geschieht mit ihr? Werde ich sie wieder sehen?“
Ich: „An Ihr wirst du dich nicht mehr erinnern. Und was Sie betrifft, Sie ist meine Kollegin, Hexe Hildegard Fürstin von Hinterlist.“
Er zu der Frau: „Du, ist das wahr, was er da sagt?“
Sie: „Ja, Schatz. Ich arbeite in seinem Auftrag.“
Er: „Man piss die Wand an! Und was ist das für ein Auftrag?“
Sie: „In schwierigen Zeiten auf dich aufzupassen und dich heute hier her zu führen, während Lutzifer dir eine Lehre fürs Leben erteilt.“
Er: „Meine Güte! Also wirklich, jetzt brauch ich dringend ’nen Drink!“
Ich: „Hier, zum Wohl mein Freund.“
Er: „An Ratten getestet?“
Ich „Yep.“