Es wird heute beinahe 70 Jahre alt. [Aktuell 69.] Und es grunzt immer noch.

Also wenn ich Leiter in einem Supermarkt wäre und heute noch für die letzten Weihnachtseinkäufe geöffnet hätte, dann würde ich – und ich kenne mich – garantiert kein „Last Christmas“ in der Endlosschleife spielen.

Sondern Motörhead. Laut. Mit voll aufgedrehtem Bass. — Genau so, wie ich es 1988 schon einmal in einem kleinen DDR-Elektronik-Markt getan habe.

Allerdings war ich damals nicht der Chef, sondern nur ein 19-jähriger Verkäufer. Mein damaliger Chef war – wie die meisten meiner ehemaligen Chefs – zwar ein Idiot, aber kein Kommunist. Trotzdem hatte er mit Weihnachten nichts am Hut. So kam mir die Idee, als Alternative mal Rock’n Roll zu spielen. Und da Lemmy Kilmister am selben Tag Geburtstag hat, kam ich mit Motörhead.

Aber dummerweise hatte der Chef gewaltige Angst vor diverse Obrigkeiten und Kontrollorgane. Das heißt, „Westmusik“ war damals verboten. Erst recht, wenn diese nicht nach seinem Geschmack war. Da ich mich nicht an dieses Verbot hielt und Schlager hasse, legte ich meine private Motorhead-Kassette ein.

Mein Chef aber war zu beschäftigt, um die Musik zu verhindern. So hat er mir nachträglich und ohne Erwähnung überraschend mein Weihnachtsgeld gestrichen und 300 Ostmark vom Lohn abgezogen. Warum? Mitarbeiter zu entlassen war in der DDR schwierig, also gab’s bei Linienuntreue Strafe und Züchtigung.

Zurück zum Heilig Abend. In den 3 Stunden, die der Laden an jenem Tag geöffnet hatte, begrüßte ich jeden, der das Geschäft betrat, freundlich per Handschlag. Dies tat ich, um meinem Chef zu suggerieren, dass ich alle persönlich kannte und die nur meinetwegen kamen.

Lustigerweise haben diese Kunden den ganzen Laden samt Lager leer gekauft (was bei dem Ost-Schrott selbst damals ungewöhnlich war) und einige versprachen, mich weiter zu empfehlen. Einer hat „das Gästebuch“ verlangt (was es nicht gab), um seiner Begeisterung über meine Fachkompetenz und Freundlichkeit Ausdruck zu verleihen. (Jene Tugenden waren in der DDR selten, wurden daher aber sehr geschätzt und nicht als ‚aufdringlich‘ empfunden.)

Einer der letzten Kunden an jenem Tage sagte erfreut über die musikalische Gewaltbeschallung:

„Ah, das Warzenschwein!“.

Ich dachte, meine Güte, ein echter Kenner, ein Motörhead-Fan! Mit ihm unterhielt ich mich und erfuhr erst als der Chef nach vorn kam, dass dieser ‚Kunde‘ eigentlich zu ihm wollte, um ihm Frohe Weihnachten zu wünschen. Aber meinem Chef missfiel, dass „sein“ Bekannter mich ebenfalls mit Respekt behandelte und mir extra betont noch einmal Frohe Weihnachten gewünscht hatte.

Das wünsche ich dir jetzt auch und genauso respektvoll – auch wenn wir uns ebenfalls nicht persönlich kennen:

FROHE WEIHNACHTEN!!