Je billiger ein Rat ist, desto besser ist er
Ratschläge von Experten sind oft viel zu teuer, als dass man sie befolgen könnte. Egal, ob der Ratschlag nun kostenlos ist oder nicht. Erkennen kannst du solche Ratschläge und Expertentips meist daran, dass sie offensichtlich sind.
Das sind Weisheiten, die du bereits selber weißt oder sogar noch weiter entwickelt hast als so mancher dieser Experten.
Tips und Ratschläge von Experten sind unter Umständen hilfreich, ja. Aber sie sind nicht für jeden anwendbar oder für jeden vollständig ausführbar. Die Umsetzung verbraucht entweder finanzielle Ressourcen oder setzt einen Mindeststandard von Wohlstand voraus. Mit anderen Worten, du brauchst Geld für die praktische Anwendung dieser Ratschläge.
In solchen Fällen gehen der beratende Berater oder der Experte wie selbstverständlich davon aus, dass du das alles besitzt oder dir besorgen kannst, was du zur korrekten Anwendung seines Ratschlags bräuchtest. Das ist wie mit einem Kochbuch, wo zwar das Rezept und wie man es zubereitet drin steht. Aber das eigentliche Problem ist nicht das Kochen, sondern die Besorgung der korrekten Zutaten. Entweder wird dies schwierig oder es wird unverhältnismäßig teuer.
Da unsere Experten aber schlaue, erfahrene und ausgewichste Schlitzohren sind, umgehen sie diese Falle ganz elegant, indem sie passende und vor allem erfolgreiche Beispiele nennen, um ihre Expertenratschläge zu untermalen. Denn Beispiele tragen zum anschaulichen Verstehen bei. Und sie tragen in unserem Falle ein Preisschild, auf dem „Zu teuer“ oder „Für Dich nicht bezahlbar“ steht.
Hier mal zwei ‚Beispiele‘ solcher ‚Beispiele‘:
Beispiel 1: Ein Marketingguru (eigentlich waren es mehrere) kritisiert bei Unternehmern, die ihr Angebot bekannt machen wollen, sowohl deren mangelnden Mut zur Kreativität als auch die damit einhergehenden typisch hohen Ausgaben. Und dieser Guru hat ja recht. Aber was macht der? Da er selber keinen Rat parat hat, gibt er ein Beispiel, wie:
„Seht her, dieser Unternehmer hat endlich mal dieses (oder jenes) richtig super tolle virale Video auf YouTube verbreitet. Die Jungs von ‚DSC‘ haben Kreativität statt Geld eingesetzt, denn das Video hat.. achtung, jetzt kommt’s… nur $50.000 gekostet, das ist praktisch umsonst.“
Nur 50.000 Dollar muss man erst mal haben. Für ein Video. Und für das, was in dem Video gezeigt wird, vielleicht noch mehr.
Professionalität kostet Geld. Jeder Anfang, jedes Script, jeder Entwurf, jeder Prototyp kostet Geld. Und Amateurvideos taugen höchstens als Demo-Tapes für Künstler, die zufällig entdeckt werden wollen. Aber wer professionell sein will, der überlässt nur selten was dem Zufall.
Beispiel 2: Ein Berater berät jemanden, der konzentriert arbeiten muss, weil er Inhalte erstellt und damit ein Autor oder ein echter* Blogger ist. Vielleicht muss derjenige richtig kreativ sein, um spezielle Lösungen zu erarbeiten. Er fragt den Berater, wie er dass am besten begünstigen kann. Der Rat des Beraters ist folgender:
„Schaffen Sie sich – natürlich je nach ihren Möglichkeiten – einen angenehme Arbeitsumgebung. Eine, wo sie ungestört sind, genug Platz zur Verfügung haben und sich wohl fühlen. Am besten ein eigener, abgeschlossener Raum, ganz für die Arbeit. Falls Sie ein Haus oder Anwesen besitzen (am besten abgelegen in sehr ruhiger Lage), dann wäre eine ganze Etage oder alternativ das Gästehaus oder notfalls das Gästezimmer ideal.“
Das, was dieser Berater hier berät, das weiß jeder Idiot. Er sagt nichts anderes als: Haste Kohle, haste Ruhe. Er sichert sich zusätzlich ab mit dem „natürlich je nach ihren Möglichkeiten“. Dessen Klient antwortet, dass er nach langer Suche endlich in einem 30 Kilometer entfernten Ort den richtigen Hals-Nasen-Ohren-Arzt gefunden hat, der ihm seine Gehörkanalentzündung zusammen mit den Geruchsstörungen behandelt, die vom ständigen Tragen der Ohrstöpsel und zu vielem Riechen entstanden sind. Denn die Geräuschkulisse seiner Wohnung ist eine Mischung aus Baustellenlärm, Kirmes, Horrorfilm, Granateneinschlägen, abendliches Dauerklingeln, 1990iger Jahre Dance Music und German Oompah. Der Gestank ist nicht weniger komplex und reicht von Zigarettenrauch über Müllkippe, Jauchegrube mit Katzenpisse, Rheumamittel und Dieselabgase bis hin zur obligatorischen Ekelküche (falls man mal die Fenster öffnet, was man nicht tun sollte). — 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche. Und nicht selbst verschuldet.
Was ist, falls du – umgeben von Freaks als Nachbarn – in einem Drecksloch sitzt, aus dem du raus willst, aber aus Kostengründen noch nicht kannst? Der Berater sagt dir dann – durch die Blume – du bist zu dumm, eben nicht schlau genug, um genug Geld zu verdienen, so dass du dir einen besseren Ort leisten könntest. Oder er beruhigt dich, indem er dir sagt, dass du dich nur in einer „Übergangsphase“ befindest. Aber wie du da raus kommst, dass sagt er dir nicht.
Die meisten mittelguten Berater und Experten sagen dir, was du eh schon weißt. Nicht selten weißt du mehr als die. Weil du eine andere Lebenserfahrung hast, andere Katastrophen durchleben musstest, vielleicht aber falsche Entscheidungen getroffen hast oder einfach nur zu ängstlich warst.
Hier noch der billigste Rat, den ich habe: Falls dir das alles bekannt vorkommt und du das eh schon weißt, dann nimm das wenige Nützliche an und behalte es. Ansonsten lass es stinken und lass es krachen um dich herum und lass vor allem deinen letzten Euro stecken. Finde nur deine täglichen 5 Minuten, egal wo, egal wann, und mach was daraus. Mach es so, dass du bald 50 Minuten zur Verfügung hast. Und mach es besser.
Uns allen geht es oft nicht schnell und billig genug. Aber schneller geht es nicht. Und billiger geht es kaum noch.
*keiner von diesen unpersönlich-selbstverliebten Typen, die nur die Stories anderer aufwärmen und sich dann ganz schlau fühlen
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.