Das ist normal, aber nicht lustig
Das ist gefährlich. Jemand kommt daher und erzählt über seine Sorgen und Alltagsprobleme, alles recht gut gejammert und überzeugend dar gebracht. Plötzlich haben Sie selber Sorgen und Alltagsprobleme, die Sie vorher nie gehabt haben.
Bei so manchen Unterhaltungen stimmen Sie sich auf den Gegenüber ein oder Sie schalten auf Durchzug. Nur, selbst bei komplettem Durchzug bleibt so mancher negativ geladener Partikel hängen.
Da könnte man jetzt versuchen, dem Gegenüber gut gemeinte Vorschläge zu machen. Und schon kommt das wenn und aber. Kurz, eine solche Unterhaltung ist sinnlos. Man nickt und sagt „Das ist schlimm. Ja, ja, verstehe.“ Der besorgte fühlt sich in seiner Sorgen-Attitüde bestätigt. Und falls Sie darauf eingehen, fühlt der sich sogar darin bestärkt. Das Ganze schaukelt sich hoch und involviert Sie bis zu einem gewissen Grad.
Get a shrink
In meiner näheren Umgebung, der Nachbarschaft gibt es einige derartige Sorgenschleudern, die ein scheinbar normales Leben führen. Als ich in Übersee war, da hat man so jemanden weder abgeblitzt noch hat man ihn zugehört.
Man gab so einen Menschen einfach mitleidvoll den Rat, professionelle Hilfe, einen Psychiater aufzusuchen. (Irgend einer hatte da immer eine Visitenkarte dabei.)
In der letzten Zeit habe ich mir schon mal überlegt, diesen Lösungsansatz auf meine deutschen Mitbürger anzuwenden. Deren Gesicht möchte ich sehen. Nicht gleich mit Visitenkarten, denn das könnte falsche Schlüsse ziehen. Aber mit dem Tip, mal zum Doktor zu gehen.
Eines ist mir noch aufgefallen. Es sind besonders diejenigen von Sorge betroffen, die das scheinbar normalste Leben haben. Es ist der Job, der einen Tag für Tag zermürbt, bis man „reif für die Irrenanstalt“ oder dem Rollstuhl ist. (Kann passieren.)
Es sind aber auch Sachen, wie das neue Auto, das dieses Jahr schon zum zweiten Mal wegen einer Garantiesache in der Werkstatt war. Oder der Sohn, der in der Schule nicht lernt, weil er lieber „Flausen im Kopf“ hat. Oder die Tochter, die abends lieber zu spät als zu früh nach Hause kommt. Oder die Oma, die ihren neuen Fernseher nicht allein einstellen kann. Oder der Nachbar, dessen Rasen zwar grüner ist, bei dem es aber aussieht, wie bei Hempel’s unterm Sofa. Oder der Bekannte, der als Beamter immer mehr Asylanträge von bösen Ausländern widerwillig genehmigen muss. Solche Sorgen sind das.
Und woher kommen diese Sorgen?
Die kommen von permanenter Unzufriedenheit, die aus dem Vergleich mit anderen Leuten stammen. Man sieht nur die anderen, bei denen scheinbar alles klappt. Deren Leben wird kopiert, da es als Normal gilt. Jeder will normal sein. – Genau das ist das Problem.