Dr. Mob (Meine Arbeit als Berater in der Autoindustrie)

Von 2001 bis 2002 wurde ich von einer internationalen Consultingfirma zusammen mit einem französischen Softwarekonzern beauftragt, für deren Kunden (Autohersteller) Schulungen für eine damals neu entwickelte Software zur Konstruktion von Fahrzeugen zu geben. Dabei hatte ich noch nie ein Fahrzeug konstruiert. […sondern Wurst, Bier & Schnaps verkauft.]

Der Grund war, daß ich der einzigste deutschsprachige Nutzer dieses Programms war, der bereits erste Designstudien damit entwickelt hatte. Das klang so toll, wie es hier steht, unzwar so, daß die mich haben wollten. Was dann passierte, war genau deshalb nicht so toll.

Ich reiste nach Stuttgart, genauer nach Weissach ins Forschungs- und Entwicklungszentrum einer deutschen Autofirma mit Doktortitel, die mittlerweile ihren meisten Umsatz mit Damentrecker (SUVs) generiert. Dort waren die Eingangskontrollen strenger als an der nordkoreanischen Grenze. Die Kontrolleure sahen schon von weitem ziemlich grimming aus und guckten dann aber irgendwie komisch, als sie mich sahen. (Als ob mit mir das Böse, also Ärger im Anmarsch wäre….)

Ich war drin. Täglich.

Der dort angestellte Manager, der die Schulungen beaufsichtigte, beäugte mich wie ein Vater, der seine kleine süße Tochter vor einem raubeinigen und stattbekannten Macho beschützen will. Zudem korrigierte er mich gleich: „Es heißt nicht Autoindustrie, sondern Automobiieelindustrie.“ Das „ie“ dauerte mindestens 6 Sekunden.

Dieser Manager führte mich in einen Schulungsraum voll mit Chefingenieuren von fast allen deutschen Automarken. Wie soll ich die beschreiben? Das waren Fachidioten vom Feinsten, arrogant, versnobt, unfreundlich, selbstbezogen, abweisend, überheblich, verklemmt und verstanden auch nicht den einfachsten Humor. Kurz, vor mir saßen 18 Sheldon Coopers. Jene drohten ständig damit, mir „genüsslich den Teppich unter den Füßen wegzuziehen“ und grinsten dabei.

Ich kam mir vor, wie Penny, die soziopathischen Quantenphysikern die Stringtheorie neu erklärt.

Wieso kam es zu dieser kuriosen Situation? Die Art, mit diesem zu lehrenden Computerprogramm zu arbeiten hatte ich mir selber beigebracht. Es war neu und daher gab es kaum Erfahrungen damit (außer vom Hersteller, der mich für „kompetent genug“ hielt). Und da ich vor dem Erwerb (Leasing) des Programms noch nie ein Auto konstruiert hatte, brachte ich mir auch dies selber bei.

Die Software hatte viele Macken [was bei neuen Produkten dieser Art völlig normal ist] und zusätzlich hatten die dortigen Ingenieure ganz andere Methoden, schablonenhafte Vorgehensweisen, um zu arbeiten. Und meine Methode akzeptierten die nicht. Einer meinte, ich solle doch lieber zurück „nach Rußland“ gehen!? Ich blieb, denn es wurde ja gerade lustig.

Die Softwarefirma und die Consultingfirma hatten mir jeweils 2 ihrer Hausexperten zur Seite gestellt. Der eine kam aus Berlin, ein weiterer aus Bayern, die anderen 2 aus der Zentrale in Paris. Diese 4 Kollegen wußten alles, was die Auto-Ingenieure wußten. Und sie wußten, was die Auto-Ingenieure nicht wußten.

Mit diesen vier externen Experten verstand ich mich allerdings sehr gut und wir freundeten uns an. Jede Nacht ging es in die Hotelbar und sie erklärten mir ausführlich, was ich wissen mußte, um zu bestehen. Das waren Weltklasse-Experten, die Eurocopter und Boeing beraten und konnten es locker mit den Auto-Fachies aufnehmen.

Nächsten Tag gaben wir zu dritt die Schulungen. Und was passierte? Jetzt fingen die zu schulenden deutschen Ingenieure an, die Pariser Experten zu beleidigen, indem sie das Produkt als „typische Franzosenscheiße“ bezeichneten. Und meine französischen Kollegen betitelten sie – weil sie gut waren – mit fremdenfeindlichen Schimpfwörtern. (Die Auto-Ingenieure waren einfach nur peinlich.)

Das ging – mit kleinen Unterbrechungen – insgesamt 3 Monate so. Wobei der Eingangs erwähnte Manager (oder eher Abteilungsleiter) mehrmals versuchte, mich rauszuschmeißen. Ich habe dafür gesorgt, daß er das nicht konnte. Der Mann verzweifelte fast. (Einige Tage zuvor las ich einen Bericht von Richard Branson, wie dieser mal eine ähnliche Situation gemeistert hat. – Was ich hier tat, erkläre ich noch.)

Der Showdown war am offiziell letzten Tag bei der Abschlußkonferenz mit allen Beteiligten. Dazu kam ein „Herr Professor“ (ich glaube, einer sagte „Herr Doktor“ zu ihm) von einem der großen Autohersteller (nicht der vor Ort). Dieser Professor hatte anscheinend auch bei den Managern des Herstellers vor Ort was zu melden (er war offensichtlich der mächtigste Mann in diesem Raum, da fast alle – außer ich – übertrieben höflich zu ihm waren). Drei Entscheidungsträger der Softwarefirma kamen zusätzlich noch hinzu. (Dann waren es insgesamt 7 Leute die ich auf meiner Seite hatte.)

Jeder hatte ein „Analyseprotokoll mit Vorschlägen zur Implementierung“ vorbereitet und trug es vor. Ich auch und provozierte dabei (absichtlich) mit unüblichen, aber gut gemeinten Vorschlägen. Und als ich fertig war, sagte der sonst wortkarge Professor milde lächelnd zu mir: „Ich danke Ihnen dafür. Das werden wir machen.“ — Die Fachidioten (Autoingenieure) wirkten wie versteinert.

Was habe ich daraus gelernt und was habe ich gemacht, damit alles gut endete? Zuerst sollte man sich genau überlegen, mit wem man Geschäfte macht. Das gilt für beide Seiten. Beispiel: Die Auto-Ingenieure gaben mir die Schuld daran, daß „meine“ Software fehlerhaft war. Die von den Autoherstellern beauftragte (!) Consultingfirma kennt solche Szenarien und engagiert einen Subunternehmer (mich), der dann bei eventuellen Mißerfolgen als Sündenbock herhält. Die sichern sich gegen Risiken ab.

Ich erlebte das als Mobbing seitens der Ingenieure und ich wußte, daß ich in der Falle war (hohe Vorbereitungs- und Reisekosten ausgelegt.) So habe ich zurückgemobbt, nur viel besser. Wie? Ich kreierte Gefahr in Verzug, um den Boss der Consultingfirma anzurufen und erklärte den, daß ich dafür sorge, daß seine Firma ohne mich einen Eklat mit all ihren besten Kunden riskieren würde wenn die mich nicht bezahlen oder feuern. Vertragsklauseln hin oder her.

Ich spielte den Wahnsinnigen, der nicht für die Mißerfolge verantwortlich gemacht werden kann, sondern stattdessen viel lieber irreparablen Schaden an entscheidenen Stellen anrichten würde. Ich wurde zum gefährlichen, bösen Risikomacher, „Dr. Mob“ sozusagen, mit Spaß an der Sache. Und die mögen keine Risiken. Also blieb ich. Und ich hatte Top-Berater auf meiner Seite.

Seth Godin beschrieb das zu seinen Kursteilnehmern vor ein paar Tagen ähnlich, daß man Risikoscheue Unternehmen nur dann zu einem Risiko bewegen kann, indem man ihnen deutlich genug macht, daß jene ein noch viel höheres Risiko eingehen, wenn sie das erste Risiko nicht eingehen.

Dasselbe gilt für Personen, die Angst haben aufzumucken, weil sie fürchten, sich in der Branche unbeliebt zu machen bzw. ihren Ruf zu riskieren. Denen rate ich folgendes: Wechseln Sie Ihre Branche, kreieren Sie eine oder erfinden Sie sich neu.

Das von mir gegründete Designstudio war nicht mein größter Erfolg, denn es ging nicht mehr um Design, sondern um Softwareberatung. Außerdem arbeitete ich eher wie ein Freelancer. Daher habe ich es nach diesen und ähnlichen weiteren Erfahrungen wieder geschlossen. — Das beste, was dabei herauskam, ist die eben erzählte Story und die Erkenntnis, dass ich mich als Bösewicht eigne.

[Ich muß fairerweise dazusagen, daß ich mich mit 6 Leuten, die später noch von Volvo, Mercedes und Honda hinzukamen, sehr gut verstand. Mit einem Vor-Ort-Designer konnte ich auch normal reden. Der Beitrag stellt meine persönlichen Erlebnisse und damit auch Sichtweise dar. Ich erwähne hier einige weitere Namen und Marken nicht, um nicht deren Belegschaft, Produkte oder Dienste komplett zu diffamieren.]